Datum
20.01.2021
Titel
Offener Brief - Impfstopp
Text
Sehr geehrter Herr Minister Laumann,
sehr geehrte Damen und Herren,
die heutige Sitzung des Landespflegerates war geprägt von den aktuellen Entwicklungen der Impfung gegen SARS CoV II für Ärzte und Pflegepersonen in den Risikobereichen der Kliniken in NRW. Die Stimmung, die uns heute entgegenschlug, versuchen wir wie folgt zu beschreiben:
Wäre nicht die Verantwortung für die Patienten ein sehr starker Hinderungsgrund, dann wäre die Versorgung an einigen nordrheinwestfälischen Kliniken zum Erliegen gekommen. Seit Monaten fühlen sich Angehörige der Pflege- und Gesundheitsberufe instrumentalisiert. Zuerst wurden sie beklatscht und „Corona-Prämien“ versprochen, später wurde ihre Zwangsverpflichtung diskutiert und die Corona Prämie an vielen Kliniken nicht gezahlt. Mit dem nahenden Impfstoff fühlten sich viele Pflegende auch durch Medienberichte zuletzt sogar in die Ecke von Impfgegnern gestellt.
Dabei kämpfen unsere Kolleginnen und Kollegen an allen Wochentagen und rund um die Uhr um das Leben schwerstkranker Menschen, oft unter Zurückstellung eigener elementarer Bedürfnisse wie ausreichenden erholsamen Schlaf. Zu viele sind überarbeitet und körperlich, emotional und psychisch erschöpft.
Neben dieser Arbeit wurden in Teams alle Vorbereitungen getroffen, um in den Krankenhäusern die Impfungen des Personals zügig und reibungslos durchführen zu können. Das Ausbleiben der versprochenen Impfstofflieferungen heute Morgen spitzte die emotional aufgewühlte Stimmung in manchem Team gefährlich zu.
Andrea Albrecht, Pflegedirektorin am Lukaskrankenhaus in Neuss, berichtet:
„Die Wut war so groß, dass Ärzte und Pflegekräfte gleichermaßen die Arbeit niederlegen wollten, um ein Zeichen zu setzen. Einmal auf die Straße gehen und zeigen: ‚Hier ist eine Grenze! Wir fühlen uns hingehalten und verspottet!‘
Immer wieder wurden diese Berufsgruppen dazu aufgefordert geduldig, verständig und diszipliniert zu sein. Aus Mangel an Material haben wir in den Kliniken selber Schutzausrüstung gebastelt, um uns selber schützen zu können. Seit fast einem Jahr setzen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ALLER Berufsgruppen einem erheblichen Risiko im Krankenhaus aus, selber an COVID-19 zu erkranken oder auch eigene Familienangehörige zu infizieren.“
Die mitgeteilte Enttäuschung über die Verzögerung, die im Rundschreiben von Gesundheitsminister Laumann versichert wurde, konnte diese Enttäuschung nicht entschärfen. Zu viele Fragen bleiben offen: Wer hat letztlich die Verantwortung dafür, dass das Versprechen, ab dem 18. Januar das Klinikpersonal in den Risikobereichen zügig zu impfen, nicht eingelöst wurde? Wie soll in Zukunft sichergestellt werden, dass genügend Impfstoffe auch für die Zweitimpfung ankommen?
Pflege- und Gesundheitskräfte sind zutiefst verärgert und auf das Höchste besorgt. Die Gewährleistung einer stabilen Gesundheitsversorgung ist vielerorts nicht mehr gegeben! „Wir haben engagiert, hoffnungsvoll und unerschütterlich 10 Monate unser Bestes gegeben“, sagt Albrecht, „dass man uns nun hängen lässt, ist nicht zu entschuldigen!“
„Die vielzitierte Wertschätzung für Pflege- und Gesundheitsberufe wird dadurch ad absurdum geführt“, beklagt auch Roger Konrad, Altenpfleger und Vorsitzender des Vereins Pflege in Bewegung e.V. gegenüber dem Pflegerat NRW.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir alle wissen und spüren es in dieser Krisenzeit überdeutlich: Jeder persönlich und damit die Gesellschaft, ist irgendwann von Pflege- und Gesundheitspersonal abhängig. Damit obliegt uns auch eine sehr große gemeinschaftliche Verantwortung. Der Pflegerat NRW nimmt seit Jahren diese Verantwortung wahr und ist auch jetzt bereit, im Schulterschluss mit allen Verantwortungsträgen den Beitrag zur Bewältigung der Pandemie zu leisten. Wir suchen daher auch nicht nach Schuldigen oder Versäumnissen der Landesregierung oder des Ministeriums. Aber wir sehen es als unsere Pflicht, hier auch in für uns ungewöhnlicher Weise und damit sehr deutlich das zu artikulieren, was an der Basis der Versorgung passiert. Wir fordern daher das Ministerium und auch das Parlament auf, klare und vor allem verlässliche Wege zum Schutz der Mitarbeiter*innen und damit der Bevölkerung zu beschreiten und die oftmals nicht mehr nachvollziehbaren und ermüdenden politischen Debatten umzuwandeln in eine Strategie der gemeinsamen Lösungssuche. Dieser Appell richtet sich an Regierung und Opposition gleichermaßen.
Heute haben wir einen deutlichen Rückschlag in einer äußerst angespannten Situation erfahren. Mit diesem geht ein Vertrauensverlust bei unseren Mitgliedern einher, welcher schwer wieder einzufangen ist. Wir kennen die Ursachen nicht und fordern hier absolute Transparenz und Offenheit. Auch ein klares Bekenntnis zu Fehlern schafft Vertrauen. Nun erwarten wir aber unbedingte Verlässlichkeit. Auf dieser Basis werden uns wir weiter für die Bewältigung der Pandemie, zum Beispiel durch die Förderung der Impfbereitschaft, engagieren.
Ludger Risse
Vorsitzender
Anhang